Full Description
Erwerbsbiographische Offenheit als analytische Konzeption anzuwenden bedeutet zunachst, eine von Diskontinuitat, Kontingenz und Paradoxien gepragte Erwerbslaufbahn dahingehend zu untersuchen, anhand welcher Sinnmaterialien und Selbstdeutungen das Subjekt einen konsistenten lebensgeschichtlichen Gesamtzusammenhang herzustellen vermag, innerhalb dessen das alltagliche Handeln in ein koharentes Selbst- und Lebenskonzept integriert werden kann. Auf vier Ebenen werden die Falle eines freischaffenden Journalisten und einer prekar beschaftigten Fotografin fur die Feinanalyse geoeffnet: Auf der Ebene der Identitat wird der Frage nach den Integrations- und Syntheseleistungen auf den Grund gegangen, um diskontinuierliche Arbeitserfahrungen in ein konsistentes Kontinuum aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einreihen zu koennen. Hierfur werden typische Konfigurationen von Handlungsstrategien, Erfahrungsmustern und Orientierungen rekontruiert und zu spezifischen Formen des Umgangs mit Offenheit verdichtet. Ein zentraler Befund hierzu lautet, dass offene Arbeits- und Lebensbedingungen ein entsprechend offenes Selbstkonzept erfordern, um individuelle Existenzen zu "basteln" (vgl. Hitzler 1999), Sinn zu suchen und schliesslich auch zu finden. Wahrend sich das Forschungsinteresse auf der ersten Ana-lyseebene also auf die Frage richtet, wie erwerbsbiographische Offenheit erfahren, erlebt und verarbeitet wird, bilden die zugrundeliegenden Rechtfertigungsmechanismen und kulturellen Orientierungen als konstitutive Elemente eines spezifischen Arbeitsethos (vgl. Boltanski/Chiapello 2003) die zweite Ebene der Untersuchung. Im Zentrum der Analyse stehen hier normative Ideale, entlang derer die Erwerbs- und Le-bensgeschichte prasentiert wird und die der eigenen Persoenlichkeit als Bewertungsmassstab zugrunde gelegt werden. Als Insignien einer habitualisierten Bewahrungslogik, an der sich im "formal-psychologischen Sinne" Max Webers (1988) die Seele bewahrt, avancieren sie zum strukturierenden Prinzip der Lebensfuhrung. Angesichts der Distinktion der Untersuchungspersonen von der Chronologie des standardisierten "Lebens-laufsregimes" (Kohli 1988) werden schliesslich auf der dritten Analyseebene Strategien herausgearbeitet, mittels derer auf dem schmalen Grat zwischen Chancen und Risiken qua sozialer Konstruktion Zonen der Sicherheit geschaffen werden, insbesondere dann wenn sich Ungewissheit und Unberechenbarkeit angesichts "hochstufiger Kontingenzarrangements" (Luhmann 1991) zu Dauererfahrungen etablieren. Unter diesem Gesichtspunkt gewinnt die Frage nach der Ressourcenlage des Subjekts im flexiblen Kapitalismus an besonderer Relevanz. Daher wird auf der vierten Ebene der Untersuchung das Wechselspiel zwischen sozialer, kultureller und materieller Ressourcenlage (Bourdieu 1983) auf der einen und individuellen Bewaltigungsmustern auf der anderen Seite aufgegriffen und vor dem Hintergrund einer hochgradig entgrenzten Arbeits- und Lebenswelt diskutiert.