Full Description
"Wer da glaubt, daß die Tat gleichmache, der möge sich immerhin eines so einfachen Verfahrens bedienen. Ich für mein Teil halte es mit der volkstümlichen Weisheit, daß, wenn zweie dasselbe tun, es mitnichten dasselbe ist; ja ich gehe weiter und meine, daß Eti kettierungen wie etwa ,ein Trunkenbold', ,ein Spieler' oder auch ,ein Wüstling' den lebendigen Einzelfall nicht nur nicht zu decken und zu verschlingen, sondern ihn unter Umständen nicht einmal ernstlich zu berühren imstande sind. Dies ist meine Denkungsart . . . " (Thomas Mann)l Ist es die Atmosphäre Lübecks, die dazu führt, dass die Söhne dieser Stadt einen Hang zum konstruktivistischen Denken an den Tag legen? Thomas Mann lässt Felix Krull in dessen "Bekenntnissen" diesen Satz schreiben, der fast aus der Feder Helge Peters' stammen könnte. Doch während Felix Krull auf eine Differenz zwischen Etikettierung und Realität verweist, ist Helge Peters' Thema die Konstruktion der Realität. Ihm geht es um den Prozess, in dem Verhaltensweisen, Zustände oder Situationen als real produziert werden. Der Krullsehe "Trunkenbold" ist nicht ein - möglicherweise verzerrtes - Ab bild der Wirklichkeit, sondern er ist Wirklichkeit, wenn andere ihn dafür halten: "Menschen (handeln) ,Dingen' gegenüber auf der Grundlage der Be deutungen, die diese Dinge für sie besitzen . . . Angenommen wird . . . , dass der Umgang mit den Dingen deren Qualität erst schaffe" (Peters 1989: 95). Dieser Grundsatz prägt Helge Peters' Arbeiten: Im Blickpunkt stehen Definitionen, Zuschreibungen und Etikettierungen, durch die Devianzen und Deviante konstruiert werden.
Contents
Einführung.- Das Labeling-Paradigma — ein Konstrukt? Oder: Wie wir Theorien lieben.- Begrenzte Konstruktivität — Wie Helge Peters einmal versuchte, den labeling approach zu retten.- Verschwörung oder Begegnung. Plädoyer für eine Fortsetzung des Programms der Partisanenwissenschaft mit etwas anderen Mitteln.- War der Elfte September ein Verbrechen oder ein kriegerischer Angriff? Über die Konstruktion wissenschaftlicher Ressortzuständigkeit.- Einige definitionstheoretische Aspekte des „Terrorismus".- Gewalt als Intention und Widerfahrnis. Zur Differenz zwischen einer handlungs- und einer definitionstheoretischen Perspektive.- „Das Wort, mit dem wir das Handeln anderer benennen". Zur (Nicht-)Konstruktion von weiblicher Gewalt.- Folgen einer fahrlässigen Etikettierung? Wahrgenommene Fremdwahrnehmung und Selbstbild der Polizei.- Soziale Kontrolle durch Pathologisierung? Konstruktion und Dekonstruktion ‚außergewöhnlicher Erfahrungen' in der Psychologie.- Die Etikettierung der Etikettierung ... Ein historisches Phänomen und ein geschichtswissenschaftliches Problem.- Fürsorge und Kritik.- Technische Konstruktion urbaner Ordnung. Thesen zur Symbolik und Wirkung von Videoüberwachung.- Punitivität im Kontext — Konstruktionen abweichenden Verhaltens und Erklärungen der Kriminalpolitik im internationalen Vergleich.- Zu den Autorinnen und Autoren.