Description
(Text)
Dieses Studienjahr beginnt mit einem Paukenschlag: Am Ende des vorigen Studienjahres hat Bolzano bereits Zweifel geäußert, ob er im nächsten Jahr überhaupt noch zu den Studierenden sprechen könne; mittlerweile hat das Verfahren gegen ihn schon begonnen. In der ersten Rede berichtet er seinen Studenten über die gegen ihn erhobene Anklage. Er zählt die Vorwürfe auf, die gegen ihn vorgebracht wurden, und fordert seine Schüler auf, diese Vorwürfe unvoreingenommen zu prüfen. (Diese Selbstverteidigung wurde ihm im weiteren Verfahren zum Verhängnis und bildete letztlich den Anlass für seine Absetzung.) Danach setzt er mit dem üblichen Programm fort, das auf »wahre Aufklärung« abzielt und »wahren Glauben« mit einschließt. Er beginnt mit der Erklärung seines Obersten Sittengesetzes, das in der Forderung besteht, das allgemeine Wohl so stark wie nur möglich zu fördern. Danach spricht er über die Würde des geistlichen Standes, über die Pflicht der Fürsorge für Kranke und - in einer langen Serie - über die Notwendigkeit von Selbstkritik und Selbstreflexion. Er führt nochmals seine originelle Auffassung von Wundern aus und unterstreicht die Vollkommenheit des christlichen Lehrbegriffes. Ferner warnt er vor den »Verirrungen des Ehrtriebes« und versucht, den schwankenden Begriff von der »guten Lebensart« zu klären. Das Jahr endet Mitte August mit einer Erbauungsrede darüber, wie das Gute zu beurteilen ist, das wir »schon gestiftet haben oder noch stiften werden«; er schließt mit dem Hinweis, in allem mit großer Vorsicht zu Werke zu gehen. Er selbst war es freilich, der in der ersten Rede dieses Studienjahres diese Vorsicht nicht walten ließ und ganz offen zu den Studierenden gesprochen hat.
(Text)
From 1805 to 1820, Bernard Bolzano was professor of »religious doctrine« (Religionslehre) at the University of Prague. The lectures he had to deliver were part of the so-called »Philosophical Studies« that every student of the university had to complete before he entered the »higher« studies, i.e. the studies of medicine, law or theology. As professor of religious doctrine, Bolzano also had the duty to deliver the homilies on Sundays and holidays during the academic year to all the students of the »Philosophical Studies«. This explains the enormous influence Bolzano exerted through these homilies on the intellectual and political life of Bohemia in his time, whose offshoots reached even the Charta 77 movement in former Czechoslovakia. The chairs of religious doctrine were established by the Austrian emperor Franz at all universities of the Austrian empire in order to shape the students into »good Christians and law-abiding citizens« as it was ordered in a decree. The homilies Bolzano had to deliver at the University of Prague (as did all professors of religious doctrine at Austrian universities) were called 'Erbauungsreden' (edifying addresses) or 'exhortations'. There is evidence for 582 'Erbauungsreden' Bolzano delivered as a professor at the University of Prague of which 414 are extant; of these, 153 have not yet been published at all. The 414 'Erbauungsreden' that are extant have survived in different form: some of them (70) as autographs, i.e. in Bolzano's own handwriting, others in handwritten copies of Bolzano's manuscripts, others in notes taken by Bolzano's students. Several collections of Bolzano's 'Erbauungsreden' have already appeared in print, some of them during Bolzano's lifetime, while others were published posthumously by his students or other editors. - The new critical edition of Bolzano's 'Erbauungsreden' presents all of them in chronological order. Those which are extant will be edited on the basis of the best version which has remained. Those 'Erbauungsreden' which are not extant will be documented and described according to an index Bolzano himself has prepared.