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Description
(Short description)
»Jorjolianis Buch ist seelenvoll, aber formal leichtfüßig. Sie unternimmt assoziative Themensprünge, wechselt Zeiten wie Perspektiven - und trotzdem schafft sie es, dass ihr Roman nicht chaotisch wirkt, sondern souverän und elegant. Das ist ein großer Spaß.«Hans-Peter Kunisch, Zeit Online (über »Du bist in einer Luft mit mir«)
(Text)
Es ist der 10. März 1946, die italienischen Frauen gehen zum ersten Mal wählen, als sich am Bahnhof von Florenz zwei junge Menschen begegnen. »Ich war bei den Partisanen«, sagt er zu ihr, »und ich habe niemanden mehr.«Ende der fünfziger Jahre sind Aurora und Modesto ein kinderloses Lehrerehepaar; dem ermatteten Alltag entfliehen beide mit einer Liebschaft. Eines Tages erhält Modesto einen anonymen Brief, der einen »alten Fehler« heraufbeschwört, und ist sichtlich aus der Fassung gebracht. Erst verbarrikadiert er sich im Klassenzimmer, als man ihn nach Hause schickt, kauft er sich ein Paar Lederstiefel und tritt eine Reise in die Vergangenheit an, bei der ein Geräteschuppen in den Abruzzen, ein dressiertes Äffchen, ein Onkel im schwarzen Hemd, ein müder Gaul im Schnee, eine schallende Ohrfeige und ein anderes Paar Stiefel, das in einer sibirischen Hütte den Besitzer wechselt, eine Rolle spielen.Ruska Jorjoliani, italienische Autorin mit georgischen Wurzeln, legt in ihrem so vielschichtigen wie ironisch-scharfsinnigen Familienroman Spuren in die bewegte Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, Spuren, die sich kreuzen, umkreisen, manchmal auch verfehlen, aber nach und nach den Boden der Gegenwart untergraben.
(Extract)
Er sah den Mann von hinten. Wie er kerzengerade über dem rauschenden Bach in der Böschung stand, sich am Stamm einer Silberweide zu schaffen machte. Ihm war sofort klar, dass es sich um seinen Vater handeln musste, schließlich erkennt man im Traum einen Vater auch allein am Rücken.Er war dabei, mit einem Messer in die Rinde des Baums zu schneiden, lange, dünne Streifen abzuziehen. Es war fraglos Herbst, die beste Jahres- zeit für eine solche Arbeit, auch wenn der Zeitbegriff das Wegegeld ist, das man für den Eintritt in einen Traum bezahlt.Dieser Mann war schon immer davon überzeugt gewesen, dass die Rinde der Silberweide schmerzstillende Wirkung hat, und das glaubte auch der Sohn, es war ja unmöglich, einem Vater, der im ersten Morgengrauen aufsteht und eine steile, steinige Böschung hochklettert, auf der Suche nach einem Mittel gegen Schmerzen, nicht zu glauben.Er hoffte, der Mann würde sich umdrehen, damit er sein Gesicht wiedersehen konnte, auch wenn nicht viel erkennbar wärevon seinem Standort aus. Nicht infrage kam, »Vater« oder gar »Papa« zu rufen. Vielmehr hatte er Lust, den klangvollen, widerhallenden Taufnamen herauszuschreien, sich damit wie mit einem Enterseil an seinem Rücken festzuhaken. Also versuchte er sich zu konzentrieren, tastete sich durch die trübe Erinnerung, aber inmitten von hundert Namen, mit hundert Gesichtern verknüpft, wollte ihm der seines Vaters partout nicht einfallen.