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Im Frühjahr 2009 übernimmt Rüdiger Grube als neuer Bahnchef ein Unternehmen im Chaos: ein beispielloser Spitzelskandal, brechende Zug-Achsen, ein gescheiterter Börsengang. Die Bahn ist zum Global Player geworden - auf Kosten der Bahnkunden und der Mitarbeiter. 5000 Gleiskilometer wurden in zehn Jahren stillgelegt, hunderte Bahnhöfe dichtgemacht. Und das bei steigenden Preisen und miesem Service. Gleichzeitig wurden zehntausende Jobs vernichtet. Auf Basis intensiver Recherchen, interner Dokumente und vieler Gespräche mit Mitarbeitern und Managern entlarven die beiden Journalisten das System Deutsche Bahn. Sie decken gefährliche Defizite, folgenschwere Fehlentscheidungen und politische Netzwerke auf.
Die Autoren arbeiten beim ZDF-Magazin "Frontal 21", das für seine kritischen Recherchen bekannt ist.
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"Warum kann die DB AG eigentlich machen, was sie will?
Stellen Sie sich vor, Sie seien Inhaber eines kleinen Eiscafes in der Fußgängerzone Ihrer Stadt. Sie stellen einen Geschäftsführer ein, denn Sie wollen mit dem operativen Geschäft möglichst wenig zu tun haben. Sie kaufen täglich eine Kugel Erdbeereis und wundern sich, dass das Eis immer teurer wird, obwohl die Kugeln ständig kleiner werden und das Eis immer weniger nach Erdbeere schmeckt. Ihr Geschäftsführer sagt, da könne er nichts machen, die Zeiten seien hart, und er bittet Sie um Geld. Denn nur wenn der Eisladen auch ins Frittengeschäft einsteige, könne das Unternehmen wirtschaftlich arbeiten.
Ihr Geschäftsführer kauft nach und nach alle Frittenbuden der Stadt auf. Jetzt sind Sie hoch verschuldet, und zu allem Übel kommt das Frittengeschäft nicht so recht in Gang. Ihr Geschäftsführer sagt, da müsse man wohl am Personal sparen. Und die Eismaschinen seltener reinigen, das spare Wasser und Strom. Und das Angebot reduzieren. Von jetzt an werde nur noch Schokolade und Vanille verkauft, alle anderen Sorten seien überflüssig. Sie fragen, was denn die Leute, die gern Erdbeere und Zitrone essen, in Zukunft bei Ihnen kaufen sollen. "Die werden sich schon dran gewöhnen", sagt Ihr Geschäftsführer. Im Übrigen habe er Kameras installiert, um das Treiben der Kellnerin besser kontrollieren zu können. Die unterhalte sich verdächtig häufig mit dem Herrn von der Lokalzeitung. Nicht, dass morgen das geheime Rezept fürs Schokoladeneis in der Zeitung steht!
Es kommen immer weniger Kunden, die Frittenbuden machen keinen Gewinn, Sie haben Schulden, und ständig geht die Eismaschine kaputt. Doch Ihr Geschäftsführer sagt, es laufe alles blendend, und bittet um eine ordentliche Gehaltserhöhung.
Und was hat das alles mit der Deutschen Bahn zu tun? Viel. Denn auch wenn Sie kein Eiscafe besitzen - Sie sind Miteigentümer der Deutschen Bahn AG. Wir alle sind es. Die DB AG gehört uns, den Steuerzahlern. Sie ist das letzte große Unternehmen im Besitz des Staates. Und so wie wir das oben beschriebene Szenario wohl kaum dulden würden, so sollten wir uns dringend ein paar Gedanken machen, wie wir mit dem großen Schatz Eisenbahn in unserem Land umgehen wollen. Einem Vermögen, das schätzungsweise 150 Milliarden Euro wert ist, aufgebaut von mehr als fünf Generationen. Eine Infrastruktur, die dem Allgemeinwohl dienen und allen Bewohnern dieses Landes günstige und zuverlässige Mobilität ermöglichen soll. So jedenfalls steht es im Grundgesetz.
Und wir zahlen ja auch eine Menge dafür: Allein 3,5 Milliarden jedes Jahr für Erhalt und Ausbau von Gleisen, Weichen, Brücken und Bahnhöfen. Und trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass wir für unser Geld immer weniger bekommen. Mal abgesehen von den neuen Bahnhofspalästen in Berlin, Leipzig und demnächst Stuttgart rotten viele Bahnhöfe und Stationen vor sich hin. Viele erleiden das Schicksal, dass nach und nach immer weniger Züge an ihnen halten, bis sie irgendwann ganz stillgelegt werden. Ganze Regionen sind inzwischen vom Schienennetz abgehängt. Einen Fahrkartenschalter mit einem leibhaftigen Bahnmitarbeiter findet man in der Provinz nur noch selten, in vielen Regionalzügen gibt es nicht einmal mehr einen Schaffner.
Wer dagegen in einer Großstadt wie Berlin oder Frankfurt lebt, kann im ICE mit der Startgeschwindigkeit eines Flugzeugs durchs Land brausen - was seltsamerweise nicht immer dazu führt, dass man auch schneller ankommt. Stattdessen vertrödelt man viel Zeit beim Umsteigen, weil einem der Anschlusszug gerade vor der Nase weggefahren ist. Oder weil der Hochgeschwindigkeitszug in Schrittgeschwindigkeit mehrere Baustellen passieren muss. Oder aus welchen Gründen auch immer einfach auf freier Strecke stehen bleibt. Und spätestens seit bekannt ist, dass die Achsen vieler ICE deutlich weniger belastbar sind als angenommen, steigt man nicht mehr ganz so gern in eins dieser 300 Stundenkilometer sch