Description
(Text)
Alice Schwarzer und Barbara Maia waren früher die besten Freundinnen, die alles miteinander teilten und gemeinsam erlebten bis ihre Wege sich plötzlich trennten. Jetzt, 40 Jahre später, lassen sie in ihren Briefen Erinnerungen an ihre Jugend in den 50er- und 60er-Jahren wieder aufleben. Ihre bewegende und reflektierte Korrespondenz ist Biografie, deutsche Zeitgeschichte und das wunderbare Porträt einer Frauenfreundschaft zugleich.
(Extract)
Vorwort
40 Jahre hatten wir uns nicht bzw. fast nicht gesehen. Und wenn, dann hatten wir uns wenig zu sagen gehabt. Doch dann. Zu meinem 60. Geburtstag lud ich Menschen aus meinem ganzen Leben ein und da durfte sie auf keinen Fall fehlen. Schließlich war sie sechs Jahre lang der wichtigste Mensch in meinem Leben gewesen: Barbara, meine beste Freundin. Zwischen 15 und 21 waren wir unzertrennlich. Dann war es vorbei. Unsere Trennung war so dramatisch wie die Freundschaft innig. Danach haben wir beide unsere Geschichte jahrzehntelang zur Seite geräumt. Aber jetzt sollte ich jetzt nicht ?
Ich machte mich auf die Suche. Wohnte sie nicht vor ein paar Jahren noch in Berlin-Schöneberg? Die Adresse hatte ich noch. Im Telefonbuch stand sie nicht. Also schrieb ich ihr, lud sie ein zu dem großen Sommerfest, von dem eine im Winter Geborene wie ich lebenslang träumt. Sie rief an. Am Telefon war ihre Stimme fast die alte: leicht heiser, mit so einem Kiekser drin, aber tiefer. Das Gespräch verlief ermutigend. Sie sagte zu aber kurz vorher wieder ab. Ein "wichtiger Termin". Irgendwas. Es klang nach Ausrede. Hatte sie Angst vor dem Wiedersehen?
Ein paar Monate später, zu meinem nächsten Geburtstag, schrieb sie mir einen Brief. Ganz im alten Ton, so wie früher: übermütig, einfühlsam, ironisch. Und am Ende des Briefes stellte sie die entscheidende Frage: "Kannst du dich an die Situation erinnern, die den Grundstein zu unserer Freundschaft legte?" Ich konnte, en détail. Das alte Gefühl war wieder da. Das Wissen, warum wir so viele Jahre so viel miteinander zu tun gehabt hatten. Wir schrieben uns weiter. Entschlossen, diesen aufregenden, verwirrenden Jahren nachzuspüren. Was war eigentlich geschehen? Was hatte uns verbunden und was getrennt? Wie läuft das überhaupt zwischen Frauen? Barbara und ich sind ja nicht die ersten "besten Freundinnen" und auch nicht die letzten. Es gibt Frauen, lange und gut verheiratet, die noch Jahrzehnte danach sagen: Mit niemandem habe ich so viel gelacht wie mit ihr! Niemandem habe ich so vertraut wie ihr! Niemand hat mich so verstanden wie sie!
In Japan existiert für diese Art inniger Mädchenliebe ein eigenes Wort bzw. ein Buchstabe: S. Dieses S spielt sogar eine Rolle in Literatur und Theater. Wegen S bringen junge Mädchen sich sogar um. Vermutlich hat diese Dramatik der "besten Freundinnen" in Japan mit den strikten Trennungen der Geschlechter zu tun: Zunächst darf die japanische Frau nur andere Frauen kennen und dann nur noch ihren eigenen Mann.
Ganz so dramatisch läuft es im Europa des 21. Jahrhunderts nicht mehr. Seit dem Aufbruch der Neuen Frauenbewegung gibt es ein bewusstes Bestreben unter Frauen, für "ihn" nicht alles aufzugeben und schon gar nicht die beste Freundin; sozusagen eine Renaissance der Kultur von Frauenfreundschaften. Aber noch immer bleibt sie leicht auf der Strecke, die beste Freundin, auch heute noch.
Irgendwann, nach dem ersten Dutzend Briefe, wurde uns klar, dass unsere Geschichte nicht nur uns angeht, sondern viele Frauen betrifft, ja selbst die eigenen Freundinnen. Auch scheinen diese Briefe uns nicht nur das Dokument einer Frauenfreundschaft, sondern auch ein Stück Autobiografie und Zeitgeschichte der 50er- und 60er-Jahre. Wir haben uns also entschlossen, unsere zwischen Dezember 2003 und September 2004 geschriebenen Briefe zu veröffentlichen. Hier sind sie. Vor der Veröffentlichung haben wir uns gemeinsam über die Briefe gebeugt. Wir haben hie und da leicht gekürzt; sei es, weil es redundant und gar zu geschwätzig war, oder weil es Dritte betraf, die ein Recht auf Diskretion haben. Aber: Rund 90 Prozent unserer Originalbriefe sind stehen geblieben, unbearbeitet und unbeschönigt.
Wir wünschen Spaß bei der Lektüre und Erkenntnis. Selbsterkenntnis.
Alice Schwarzer
Köln, im Januar 2005
Berlin, 2. Dezember 2003
Liebe Alice,
da ich nicht weiß, ob ich dich morgen telefonisch erreichen werde weil alle Leitungen zusammenbrechen oder weil